Arbeits- und Organisationspsychologie

Kritische Reflexion über die strukturellen Merkmale, dahinter liegenden Grundannahmen und deren Effekte in der Organisationskultur klassischer
Unternehmensberatungen

Die Branche, in der Unternehmen tätig sind, sowie deren Geografie haben einen beachtlichen Einfluss auf die Organisationskultur (siehe dazu auch Schachtelmodell der Kultur). Dabei tun sich z.B. große Unterschiede zwischen Industrie- und Finanzdienstleister*innen, privatem und öffentlichem Sektor und auch Unternehmen in der Stadt und in ländlichen Gebieten auf. Durch die Arbeit mit Kund*innen diverser Branchen kommt man als Unternehmensberater*in im Laufe der Zeit mit sehr vielen unterschiedlichen Kulturen in Berührung und kann auch mit mehr Differenzierung die Kultur des eigenen Unternehmens bzw. der eigenen Arbeitgeber*in betrachten.

Strukturelle Merkmale

Unternehmensberatungen weisen häufig strukturelle Merkmale auf, die in anderen Branchen weniger häufig oder weniger stark ausgeprägt aufzutauchen scheinen. Diese strukturellen Merkmale entsprechen der Ebene 1, d.h. den sichtbaren, bewussten Aspekten der Organisationskultur.

Zum einen sind Unternehmensberatungen häufig partnerschaftlich geführt, d.h. es gibt eine Vielzahl an Geschäftsführer*innen, die ihre jeweiligen Abteilungen fast wie eigenständige Unternehmen führen und auch entsprechend in ihrer Leistung verglichen werden: v.a. die Kennzahlen Umsatz, Auslastung (Anteil der Stunden, der an Kund*innen verrechnet wird), Gewinne.

Gleichzeitig sind die Zielsetzungen zu diesen Kennzahlen die Grundlage für die variable Vergütung und sollen den Mitarbeiter*innen als Motivation für die Leistungsbereitschaft dienen. In der Praxis stehen sie jedoch teils in einer gegenläufigen Beziehung zueinander: Mit gegebenen Ressourcen lassen sich üblicherweise zwei der drei Kennzahlen auf Kosten der dritten optimieren.

Ein weiteres strukturelles Merkmal sind die All-in-Verträge, auf deren Basis die Mitarbeiter:innen üblicherweise arbeiten. Das bedeutet grundsätzlich, dass man leistungs- statt zeitbezogen bezahlt wird (was durchaus auch positiv gesehen werden kann) und ein gewisser Anteil an Überstunden bereits im Monatsgehalt enthalten ist. In der Praxis sind
jedoch in der Regel alle Überstunden als bereits abgegolten anzusehen, was sich je nach Arbeitspensum stark auf den Stundenlohn auswirkt.

Dahinter liegende Grundannahmen

Die dahinter liegenden Grundannahmen bzw. Glaubenssätze können nur vermutet werden, da diese sich auf der unsichtbaren, unbewussten Ebene (d.h. Ebene 3 lt. Edgar Scheins Modell der Kulturebenen) befinden. Einige von diesen könnten aber folgendermaßen lauten:

  • “Fleißige, “committete” Mitarbeiter*innen sind 24/7 im Einsatz”
  • “Karriere und beruflicher Erfolg sind Priorität Nummer 1 für die Mitarbeiter*innen” / “Privatleben hat keinen Stellenwert”
  • “(interner) Wettbewerb bringt die beste Leistung zu tage”

Effekte der Grundannahmen und strukturellen Merkmale

Die oben genannten Faktoren können in der Realität zu Effekten führen, die in mancherlei Hinsicht nicht konstruktiv erscheinen – weder für das Unternehmen noch für die Mitarbeiter*innen:

Auf Mitarbeiterebene wäre dies beispielsweise, dass Zielvorgaben so hoch sind, dass sie in der Regel (je nach Fachbereich und Zahlungsbereitschaft von Kund*innen) in einer regulären 40-Stunden-Woche bei weitem nicht erfüllbar sind. Dadurch ergibt sich eine Tendenz zur Überarbeitung bzw. zu einer Vielzahl an (de facto unbezahlten) Überstunden, welche durch eine “24/7-einsatzbereit”-Mentalität vehement verstärkt wird: Meetings werden bis spät in den Abend abgehalten und die Bereitschaft zur Wochenendarbeit wird quasi als selbstverständlich angesehen (weil Kund*innen bzw. Deadlines es so fordern oder die Verfügbarkeiten von Partner*innen/Kolleg*innen es nicht anders zulassen). Dadurch wiederum wird gestresst zu sein ein Markenzeichen für Einsatz und Erfolg. Eine Haltung, die weder zur Einstellung der Generation Y und schon gar nicht zu der von Generation Z passt. Eine Tatsache, die sich auch in einer hohen Fluktuation und dem zunehmenden Verlust der Arbeitgeber-Attraktivität bestätigt.

Ein Effekt auf Unternehmensebene ist, dass der interne Wettbewerb zu ineffizienter Ressourcenallokation führt, weil einerseits nicht unbedingt die besten Teams mit der meisten Erfahrung zu gewissen Projekten antreten – was wiederum einen Einfluss auf die Qualität der Ergebnisse, Zufriedenheit der Kund*innen und Glaubwürdigkeit am Markt haben kann – und andererseits Energie in interne Machtkämpfe fließt, die stattdessen in den
externen Wettbewerb, konstruktive Zusammenarbeit zwischen Teams, Entwicklung neuer Dienstleistungen etc investiert werden könnte.

Je nach Abteilung und Partner*in können diese kulturellen Faktoren und deren Effekte mehr oder weniger stark ausgeprägt sein, da die partnerschaftliche Führung auch eine starke Ausprägung von Subkulturen fördert. Dies gibt auch Raum für Diversität und Potenzial für Veränderung, wenn manche Abteilungen mit gutem Beispiel vorangehen und andere von
ihren anderen Verhaltensweisen und Erfolgen lernen können, was durchaus positive Konsequenzen für die Unternehmen und deren Mitarbeiter*innen hätte.

am 25.08.2022 von Anonym erstellt